Bei vielen schweren Krankheiten kann ein Erschöpfungssyndrom als Begleiterkrankung auftreten. Auslöser können z. B. Krebserkrankungen, Rheuma, Parkinson oder eine COVID19-Erkrankung sein. Besteht der krankhafte Erschöpfungszustand über längere Zeit, kann sich ein so genanntes Fatigue-Syndrom entwickeln. Die von Fatigue Betroffenen haben das Gefühl, dass die Krankheit ihnen die Lebensenergie entzieht, so dass selbst alltägliche Verrichtungen herausfordernd sind. Wie man mit einer Fatigue umgeht und allmählich wieder zu Kräften kommt, lesen Sie hier.
Definition der Fatigue
Der Begriff „Fatigue“ kommt aus dem Französischen und bedeutet Müdigkeit. In der Medizin bezeichnet man mit Fatigue einen krankhaften und anhaltenden Zustand geistiger und körperlicher Ermüdung und Erschöpfung, den man durch Anstrengungen oder Schlafmangel alleine nicht erklären kann.
Patient*innen mit einer Fatigue haben Probleme, ihren Alltag zu bewältigen. Selbst einfache Tätigkeiten, wie Zähne putzen, Kochen oder Einkaufen, führen bei den Betroffenen zum Gefühl der Erschöpfung. Einem Gespräch aufmerksam folgen, sich auf die Arbeit konzentrieren oder sich einfache Dinge merken, kann die Patient*innen überfordern. Betroffene beschreiben ihren Zustand mitunter so „als ob der Stecker gezogen wird“. Typisch für eine Fatigue ist außerdem, dass sich die Symptome durch Ruhephasen oder Schlaf nicht deutlich bessern.
Eine Fatigue vermindert die Lebensqualität der Betroffenen erheblich. Die Fatigue-Beschwerden belasten die sozialen Beziehungen, verringern die soziale Teilhabe und beeinträchtigen die Betroffenen im Beruf, Alltag und in ihrer Freizeit.
Chronische Fatigue ist ein komplexes und multifaktorielles Geschehen, bei dem es, anders als bei einer normalen Erschöpfung, nicht mit einer „guten Mütze Schlaf“ oder einem erholsamen Wochenende getan ist.
Eine Fatigue tritt als Begleiterkrankung verschiedener Krankheiten auf, wie z. B.:
- Tumorerkrankungen
- Multiple Sklerose
- Parkinson
- Nach einem Schlaganfall
- Nach Schädel-Hirnverletzungen
- Rheuma und anderen Autoimmunkrankheiten
- Long COVID/Post COVID
Fatigue nach Corona
Fatigue gehört zu den häufigen Beschwerden von Patient*innen, die nach einer überstandenen Corona-Infektion an Long-COVID oder dem Post-COVID-Syndrom leiden. Der Auslöser für die Post-COVID-Fatigue ist die Virusinfektion mit SARS-CoV-2. Die genauen Ursachen für eine Fatigue nach der Erkrankung an Corona sind jedoch noch nicht abschließend geklärt. Es gibt beispielsweise Hinweise darauf, dass Störungen im Immunsystem und/oder der Stressverarbeitung im sympathischen Nervensystem verantwortlich sein könnten. Die Fatigue nach Corona bessert sich meist nach drei bis sechs Monaten deutlich oder verschwindet.
Die Symptome der Fatigue nach Corona ähneln bei vielen Betroffenen jenen, die bei dem Erschöpfungssyndrom als Begleiterkrankung bei Tumoren oder Autoimmunerkrankungen, wie Multiple Sklerose, auftreten. Psychische und körperliche Überlastungen können zu einer Krankheitsverschlechterung über Tage und Wochen führen. Man spricht in diesen Fällen von einer post-exertionellen Malaise (PEM). Die Therapie der Fatigue richtet sich insofern nach den Symptomen und der individuellen Belastbarkeit der Patientin oder des Patienten.
Ausführliche Informationen zu Fatigue nach Covid-19 finden Sie im Artikel „Fatigue und Corona: Das Erschöpfungssyndrom“
Häufigkeit der Fatigue
Unerklärliche Müdigkeit gehört weltweit zu den 10 häufigsten Gründen, warum sich Menschen in ärztliche Behandlung begeben. Nach chronischen Schmerzen rangiert das Erschöpfungssyndrom Fatigue auf Platz 2 der Beschwerden, die das gesundheitliche Wohlbefinden am meisten einschränken.
Häufigkeit der Fatigue bei Krebs
Zwischen 70 und 90% der Patient*innen mit einer bösartigen Tumorerkrankung leiden unter Fatigue. Das Erschöpfungssyndrom kann dabei sowohl ein Symptom der Krebserkrankung als auch eine Folge der Tumortherapie sein. Bei bösartigen Tumoren kann die Fatigue gemeinsam mit anderen Symptomen früh im Verlauf der Tumorerkrankung auftreten.
Häufigkeit der Fatigue bei Multipler Sklerose
Bei Multipler Sklerose tritt Fatigue häufig auf. Je nach Studie sollen 58 bis 90% der Patient*innen von dem Erschöpfungssyndrom betroffen sein. In einigen Fällen scheint die Fatigue eine Art Vorbote der Multiplen Sklerose zu sein, denn die Patient*innen leiden bereits unter der Erschöpfung, kurz bevor die Grunderkrankung diagnostiziert wird. Bei bestehender Multipler Sklerose tritt die Fatigue sowohl während der schubförmigen als auch in der sekundär fortschreitenden Krankheitsphase auf. Als Begleiterkrankung der Multiplen Sklerose wird die Fatigue bei Wärme verstärkt (Uhthoff-Phänomen).
Häufigkeit der Fatigue bei Parkinson
Etwa ein Drittel der Parkinson-Patient*innen leiden unter Fatigue.
Ursachen und Entstehung der Fatigue
Das Erschöpfungssyndrom Fatigue gehört zu den neurologischen Krankheiten. Die Ursachen und die Entstehung sind noch nicht geklärt. Man nimmt an, dass bei der Entstehung der Fatigue verschiedene Faktoren zusammenwirken.
Beispiele für solche Faktoren sind:
- Entzündungsprozesse im Körper und im Nervensystem
- Energiemangel infolge starker Abmagerung (Kachexie)
- Blutarmut oder Schwankungen des Elektrolythaushalts
- Chronische Schmerzen
- Kräfteverlust infolge der Grunderkrankung
- Nebenwirkungen der Therapie der Grunderkrankung
- Infektionen (Abwehrschwäche)
- depressive Verstimmungen oder Ängste
- Stress z. B. bei Überforderung oder Zukunftsängsten
Primäre und sekundäre Fatigue bei Tumorkrankheiten
Bei Tumorerkrankungen kann man zwischen primären und sekundären Formen der Fatigue unterscheiden. Als Ursache der primären Fatigue werden durch das Tumorgeschehen direkt hervorgerufene Prozesse vermutet. Diese werden möglicherweise verstärkt durch z. B. anlagebedingte neuro-muskuläre und stoffwechselbedingte Faktoren verstärkt, die manche Menschen anfälliger für das Erschöpfungssyndrom macht als andere.
Die sekundäre Fatigue entsteht durch indirekte Folgen des Tumors und der Tumortherapie, z. B. durch Muskelschwund, starke Abmagerung und Bewegungsmangel, bzw. andere Folgen und Nebenwirkungen der Tumortherapie.
Fatigue-Symptome
Eine über Wochen und Monate fortdauernde Erschöpfung und Müdigkeit, die nicht relevant durch Erholung oder Schlaf verbessert werden kann, ist das Grundsymptom der Fatigue.
Darüber hinaus berichten Fatigue-Betroffene von folgenden Symptomen:
- Energiemangel, Schwächegefühl, Schweregefühl in den Gliedmaßen
- Antriebslosigkeit, es kostet viel Kraft aktiv zu werden
- unverhältnismäßig starke Erschöpfung nach Anstrengung
- hoher Ruhebedarf, der nicht durch Anstrengung erklärt werden kann
- Schlaflosigkeit oder vermehrte Schläfrigkeit/Schlafsucht
- Schlaf erfrischt nicht und bringt kaum Erholung
- Traurigkeit, Frustration, Gereiztheit
- der Alltag kann kaum bewältigt werden
- Vergesslichkeit: Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt
- Wortfindungsstörungen
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen
- sich nach Anstrengungen über Stunden unwohl fühlen
Diagnostik bei Müdigkeit und Erschöpfung
Um die Diagnose Fatigue als Begleiterkrankung zu stellen, muss zuvor klar sein, um welche Grunderkrankung es sich handelt. Unerklärliche Müdigkeit und Erschöpfung können auch Vorboten einer schweren Erkrankung wie Krebs oder Multiple Sklerose sein. Wenn keine Grunderkrankung bekannt ist, wird sich die Diagnostik auch darauf konzentrieren, eine solche zu finden.
Ausschluss von Differenzialdiagnosen
Beim Verdacht auf Fatigue als Begleiterkrankung übernimmt in der Regel ein Facharzt oder eine Fachärztin für Neurologie die Diagnostik. Die Fatigue ist eine Ausschlussdiagnose, das heißt Differenzialdiagnosen, also Erkrankungen, die ähnliche Symptome hervorrufen, müssen ausgeschlossen werden.
Mögliche Differenzialdiagnosen zur Fatigue:
- psychische Erkrankungen, insbesondere Depressionen
- Nebenwirkungen von Medikamenten
- nächtliche Atemaussetzer (Schlafapnoe-Syndrom)
- Schlafstörungen
- Mangelernährung
- chronische Schmerzen
- Schilddrüsenerkrankungen
Je nach Vorgeschichte und Einzelfall werden folgende Untersuchungen durchgeführt:
- Fragebogen zur Erfassung der Symptome
- Tests zur Aufmerksamkeit und Konzentration
- Belastbarkeitsuntersuchungen
- Ganganalysen
- Bewegungstracker zur Erfassung der Aktivität im Tagesverlauf
- Laboruntersuchungen des Bluts
So wird eine Fatigue behandelt
Ein zentrales Ziel der Therapie bei Fatigue ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Es gibt kein Medikament gegen Fatigue und keine Behandlung, die allein zur Verbesserung des Erschöpfungszustandes führt. Vielmehr muss für jeden Patienten und jede Patientin ein individuelles Paket unterschiedlicher Behandlungen geschnürt werden. Dabei muss die Grunderkrankung, sei es Krebs, Multiple Sklerose oder Parkinson, immer mit beachtet werden. Das gilt auch für die Therapie der Grunderkrankung, denn bestimmte Medikamente können eine Fatigue hervorrufen.
Aufgrund dieser komplexen Situation sind an der Behandlung einer Fatigue verschiedene Fachleute, z. B. Neurolog*innen, Onkolog*innen, Expert*innen für Psychosomatik, Neuropsycholog*innen, Psychotherapeut*innen, Physiotherapeut*innen und Ergotherapeut*innen beteiligt. Je nach Schwere der Krankheit und der Einschränkungen im Alltag kann die Fatigue ambulant oder im Rahmen einer stationären Rehabilitation behandelt werden. Die stationäre Behandlung findet je nach Grunderkrankung oder Krankheitsbild in einer neurologischen, onkologischen oder psychosomatisch ausgerichteten Rehabilitationseinrichtung statt.
Zur Therapie der Fatigue gehören:
- das Krankheitsbild der Fatigue in Schulungen kennenlernen
- die medikamentöse Behandlung von Begleitsymptomen der Fatigue, z. B. Schmerzen, Schlafstörungen oder depressiven Verstimmungen
- lernen, den Tagesablauf zu strukturieren, um Zeitdruck und Stress zu vermeiden: z.B. Aufgaben nach Wichtigkeit einteilen (priorisieren), Ruhepausen einplanen
- Sport treiben, angepasstes Ausdauertraining, Muskelkräftigung
- kognitives Training („Gehirnjogging“), wie z. B. Gedächtnisübungen, Konzentrationstraining
- mit psychologischer Unterstützung lernen, von sich nicht mehr zu verlangen, als man derzeit leisten kann
- Ergotherapie, z. B. Kunsttherapie oder Musiktherapie
- Balance zwischen Aktivität und Entspannung finden, z. B. mithilfe von Yoga, Qi Gong oder ähnlichem
- Lichttherapie mit Lampen, die ein sehr helles, weißes Tageslicht ausstrahlen und so die Zirbeldrüse, die im Gehirn den Schlaf-Wach-Rhythmus reguliert, aktivieren
Besonderheiten der Fatigue-Behandlung bei bestimmten Grunderkrankungen
Multiple Sklerose: Die Kombination von Ausdauertraining mit Krafttraining wird ausdrücklich empfohlen. Zusätzlich sollten bei Bedarf kühlende Maßnahmen (z. B. Kühlkleidung) eingesetzt werden, um der Verschlechterung der Fatigue bei Multipler Sklerose durch Wärme (Uhthoff-Phänomen) entgegenzuwirken.
Parkinson: Um Fatigue-Symptome bei Parkinson-Patient*innen zu lindern, sollte die medikamentöse Behandlung der Grunderkrankung optimiert werden.
Das können Sie selbst tun
Als Patient*in können Sie die Therapie bei Fatigue aktiv unterstützen:
- Ernähren Sie sich gesund.
- Achten Sie auf genügend Schlaf.
- Reduzieren Sie konsequent Stressfaktoren in Ihrem Alltag.
- Falls bei Ihnen ein Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen, Spurenelementen oder essenziellen Fettsäuren festgestellt wurde, sollten Sie auf ärztlichen Rat ihre Ernährung umstellen und/oder entsprechende Nahrungsergänzungsmittel einnehmen.
- Sprechen Sie mit Ihrer Familie, Freunden und Berufskolleg*innen über das Fatigue-Syndrom. Erklären Sie, warum Sie manche Dinge langsamer angehen oder warum Sie mehr Pausen brauchen. Ein angepasster Tagesablauf, der Sie weder über- noch unterfordert, trägt dazu bei, die Fatigue allmählich zu bessern. Wenn Ihr Umfeld Sie versteht und Sie unterstützt, kann Ihnen das sehr helfen.
Fragen an unseren Experten
Dr. med. Mario Schubert ist Chefarzt in der MEDICLIN Kraichgau-Klinik, einer Fachklink für onkologische Rehabilitation.
Was unterscheidet eine Fatigue von einer „normalen“ Müdigkeit z. B. infolge von Schlafstörungen, Schichtarbeit oder Überforderung?
Chronische Fatigue ist ein komplexes und multifaktorielles Geschehen, bei dem es, anders als bei einer normalen Erschöpfung, nicht mit einer „guten Mütze Schlaf“ oder einem erholsamen Wochenende getan ist. Im Gegenteil wird Schlaf von vielen Betroffenen als wenig erholsam empfunden. Viele Fatigue-Patient*innen berichten außerdem, dass es zu einer schwerwiegenden Verschlechterung ihres körperlichen und/oder mentalen Zustandes kommt, wenn sie sich nur leicht überanstrengen. Diese so genannte Belastungsintoleranz oder post-extertionale-Malaise (PEM) wird von vielen Experten daher als ein Leitsymptom interpretiert, um die krankhafte Fatigue von einer normalen Erschöpfung zu unterscheiden.
Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen einer Fatigue und einer ME (Myalgische Enzephalomyelitis) /CFS (Chronisches Fatigue-Syndrom)?
Unter dem Überbegriff „Chronische Fatigue“ werden länger anhaltende krankhafte Erschöpfungszustände zusammengefasst, die große Überschneidungen, aber in Details auch unterschiedliche Ursachen, Symptomausprägungen und Therapiebedürfnisse haben. Heutzutage lassen sich diese vermutlich eigenständigen Krankheiten leider noch nicht sicher anhand von Laboruntersuchungen diagnostizieren und unterscheiden, so dass von Experten - in Ermangelung anderer Messmethoden - klinische Kriterien erarbeitet wurden, mit denen man hofft, die unterschiedlichen Fatigue-Formen, wie zum Beispiel die ME/CFS voneinander abzugrenzen.
Warum wird Ausdauersport und Krafttraining bei einer Fatigue als Begleiterkrankung empfohlen?
Ein körperliches Training, angepasst an die individuelle Leistungsfähigkeit, verbessert bei fast allen Patienten die Fatigue-Symptomatik. Neben der körperlichen Steigerung von Kraft und Ausdauer können durch eine regelmäßige Bewegungstherapie nachweislich auch die seelische Stimmung verbessert, kognitive Beschwerden gelindert und die Lebensqualität insgesamt verbessert werden.
Wie hilft eine Lichttherapie bei einer Fatigue?
Verschiedene nicht-medikamentöse Ansätze stehen zur Verbesserung der Fatigue zur Verfügung. Bei der Lichttherapie soll durch künstliches helles Licht, mit einem ähnlichen Farbspektrum wie natürliches Sonnenlicht, die Ausschüttung körpereigener Botenstoffe aus der Zirbeldrüse stimuliert werden. Hierdurch sollen die „innere Uhr“ des Schlaf-Wach-Rhythmus wieder justiert, Schlafstörungen dadurch bekämpft und depressive Begleitsymptome gelindert werden.
Gibt es Medikamente, pflanzliche Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel, die bei Fatigue helfen?
In der Vergangenheit wurde eine Vielzahl von Wirkstoffen und Nahrungsergänzungsmitteln zur Behandlung der Fatigue ausprobiert – leider konnte keines in Studien wirklich überzeugen, so dass für kein Mittel eine generelle Empfehlung ausgesprochen werden kann. Gegen einzelne Symptome, bzw. bei Mangelzuständen oder Stoffwechselstörungen, ist jedoch die gezielte medikamentöse Behandlung natürlich notwendig und sinnvoll.