Bei einem epileptischen Anfall ist die Funktion des Gehirns kurzzeitig gestört. Was sind die Ursachen und wie kann man Betroffenen helfen? In unserem Artikel geben wir Antworten auf diese Fragen und geben Tipps für den Umgang mit Epilepsie im Alltag.
Epilepsien sind zwar seit dem Altertum bekannt, die Ursache der Erkrankung ist jedoch noch nicht völlig geklärt. Mit Medikamenten bekommt man die Erkrankung in vielen Fällen gut in den Griff.
Was sind Epilepsien?
Epilepsie umfasst eine Vielzahl von chronischen Erkrankungen des zentralen Nervensystems, die aufgrund einer Überaktivität der Nervenzellen im Gehirn auftreten.
Wenn Nervenzellen übermäßig aktiv sind, können sie anfallsartige Funktionsstörungen auslösen. Diese reichen von kaum merklichen geistigen Abwesenheiten (z. B. Absencen bei Kindern oder kognitive Anfälle bei Erwachsenen) über Wahrnehmungsstörungen bis hin zu schweren Krampfanfällen mit Bewusstseinsverlust. Es gibt generalisierte Anfälle (Grand Mal), bei denen das gesamte Gehirn beteiligt ist und fokale Anfälle (Petit Mal), die nur in einem Teil des Gehirns entstehen.
Epileptische Anfälle sind in der Regel sehr kurz. Meistens dauern sie nicht länger als 2 Minuten. Wenn ein Anfall länger als 5 Minuten anhält, handelt es sich um einem Status epilepticus. Auch wenn sich 2 oder mehr Anfälle kurz hintereinander ereignen, ohne dass sich der*die Betroffene dazwischen erholen konnte, spricht man von einem Status epilepticus.
Einzelne epileptische Anfälle können auch bei Menschen ohne Epilepsie auftreten. Auslöser dieser Gelegenheitsanfälle sind dann zum Beispiel akute Erkrankungen, Verletzungen oder Fieberkrämpfe bei Kindern.
Um eine Epilepsie handelt es sich nur, wenn
- man ohne ersichtlichen Grund mindestens zwei epileptische Anfälle hatte, die im Abstand von mehr als 24 Stunden auftraten oder
- nach einem ersten Anfall ohne bekannten Auslöser eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass innerhalb der nächsten 10 Jahre weitere Anfälle auftreten.
Letzteres kann z. B. angenommen werden, wenn die Krankheit in der Familie bereits häufiger diagnostiziert wurde.
Verhalten bei einem epileptischen Anfall
Wenn man Zeug*in eines epileptischen Anfalls bei einer anderen Person wird, ist es sehr wichtig, ruhig und besonnen zu bleiben. Vor allem sollte man überlegen, wie man die Person vor Verletzungen schützt. Alles andere hängt von der Stärke und der Art der Anfälle ab.
Leichte epileptische Anfälle mit wenigen Symptomen
Bei kurzen Absencen oder Muskelzuckungen besteht keine unmittelbare Gefahr. Danach können sich die Betroffenen unsicher fühlen und Unterstützung benötigen.
Anfälle mit eingeschränktem Bewusstsein oder Verhaltensänderungen
Wenn Menschen mit einem epileptischen Anfall verwirrt wirken, ist es wichtig, sie vor Gefahren zu schützen (z. B. im Straßenverkehr). Gehen Sie dabei mit der Person ruhig um und fassen Sie sie nicht hart an. Hektik, Zwang oder Gewalt können zu starken Gegenreaktionen führen. Versuchen Sie dem oder der Betroffenen Halt und Nähe zu vermitteln.
Große generalisierte epileptische Anfälle
Bei einem großen generalisierten Anfall verkrampft der ganze Körper und die Person verliert das Bewusstsein. In diesen Fällen sollten Sie Folgendes tun:
- Ein epileptischer Anfall kann verschiedene Ursachen haben und das Symptom eines lebensbedrohlichen Notfalls sein. Wählen Sie daher immer den Notruf 112 und rufen Sie professionelle Hilfe.
- Sorgen Sie für Sicherheit, indem Sie z. B. gefährliche Gegenstände beiseite räumen.
- Polstern Sie den Kopf des*r Betroffenen ab.
- Nehmen Sie seine/ihre Brille ab.
- Lockern Sie enge Kleidung am Hals, um die Atmung zu erleichtern.
- Bitten Sie Menschen, die in der Situation nicht helfen können, weiterzugehen.
- Viele Epileptiker*innen haben eine „Notfalltablette“ dabei, die einen längeren Anfall beenden kann. Diese Tablette sollte dem*r Betroffenen jedoch von geschulten Hilfspersonen verabreicht werden.
- Wenn Sie selbst nicht darin geschult sind, warten Sie bis professionelle Hilfe angekommen ist.
- Bleiben Sie nach dem Anfall bei der Person und bieten Sie Ihre Unterstützung an.
- Wenn die Person nach dem Anfall erschöpft ist und einschläft, bringen Sie sie in die stabile Seitenlage.
Das sollten Sie in keinem Fall tun:
- Die*den Betroffene*n festhalten oder zu Boden drücken
- der betroffenen Person etwas in den Mund schieben — auch wenn sie sich in die Zunge beißt
Was passiert bei einem epileptischen Anfall?
Im Gehirn arbeiten Milliarden von Nervenzellen zusammen. Im Regelfall stimmen die Nervenzellen ihre Aktivität untereinander fein ab. Um miteinander zu kommunizieren, senden sie einander Signale. Bei einem epileptischen Anfall funktioniert die Kommunikation zwischen den Nervenzellen nicht mehr. Plötzlich sind viele Nervenzellen gleichzeitig aktiv und senden Signale. Die Flut der Signale im Gehirn führt zu Funktionsstörungen, wie z. B. Bewusstseinsstörungen, Wahrnehmungsstörungen oder Störungen der Muskelaktivität.
Häufigkeit der Epilepsie
Studien zufolge leiden 5 bis 9 von 1.000 Menschen in den Industrieländern an einer Epilepsie. Die Neuerkrankungsrate pro Jahr liegt bei 40-70 von 100.000 Menschen. Dabei tritt der erste Anfall meist bei jungen Menschen oder bei Personen ab einem Alter von 50-60 Jahren auf. Bei Personen im mittleren Alter ist die Neuerkrankungsrate niedriger. Die Wahrscheinlichkeit im Laufe des Lebens an einer Epilepsie zu erkranken, liegt bei 3–4 Prozent.
Die Gehirnkrankheit kann in jedem Alter beginnen. Bei einer idiopathischen Epilepsie tritt der erste Anfall häufig bereits im Kindesalter auf. Im mittleren Alter kommt es selten zum Krankheitsbeginn. Erst bei Menschen über 60 Jahren steigen die Neuerkrankungen wieder an.
Symptome eines epileptischen Anfalls
Ein epileptischer Anfall dauert meist nur 1 bis 2 Minuten. Einen Anfall, der länger als 5Minuten anhält, bezeichnet man als Status epilepticus.
Einem epileptischen Anfall kann eine sogenannte Aura vorausgehen. Bei der Aura können Wahrnehmungsstörungen, Halluzinationen und Schwindelgefühle auftreten.
Allgemeine Symptome bei epileptischen Anfällen können sein:
- Bewusstseinsveränderungen, geistige Abwesenheit (Absence), Bewusstseinsverlust
- Wahrnehmungsstörungen: Sehstörungen, Geschmacks- und Geruchshalluzinationen
- Schwindelgefühle
- Übelkeit und Unwohlsein
- Kribbeln in den betroffenen Körperteilen
- ungewöhnliche Muskelaktivität, Muskelzuckungen und Krämpfe im Sinne tonisch-klonischer Entäußerungen (s. Symptome bei einem generalisierten Anfall)
- unwillkürliche Laute
Je nach Art des Anfalls sind die Betroffenen in der Regel zwischen den Anfällen beschwerdefrei und weisen keine neurologischen Symptome auf.
Klassifikation epileptischer Anfälle
Es gibt verschiedene Formen epileptischer Anfälle. Um diese zu ordnen, hat die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) im Jahr 2017 ein System entwickelt, bei dem die Anfallsformen nach ihren Merkmalen klassifiziert werden.
Im ersten Schritt der Anfallsklassifikation unterscheidet man nach dem Beginn eines Anfalls:
- Ein fokaler Beginn, findet in einer Hirnhälfte statt.
- Ein generalisierter Beginn, geht von beiden Hirnhälften aus.
- Bei einem unbekannten Beginn ist nicht bekannt, wie der Anfall angefangen hat.
Klassifikation von Anfällen mit fokalem Beginn
Anfälle mit fokalem Beginn werden darin unterschieden, ob der*die Betroffene sie bewusst oder nicht bewusst erlebt.
Sie werden anschließend nach ihrem anfänglichen Erscheinungsbild klassifiziert. Hierbei unterscheidet man einen motorischen Beginn von einem nicht-motorischen Beginn.
Motorischer Beginn
Unter dem Begriff „motorisch“ fasst man Muskelaktivitäten, wie beispielsweise Muskelzuckungen oder -krämpfe aber auch eine Muskelerschlaffung (Atonie, atonisch) zusammen. Die verschiedenen motorischen Symptome bei einem epileptischen Anfall werden mit spezifischen Fachbegriffen beschrieben. Beispiele hierfür sind:
- klonisch: symmetrische oder asymmetrische Zuckungen, die rhythmisch sind und identische Muskelgruppen betreffen
- myoklonisch: plötzliche, sehr kurze, einzelne oder mehrfache unrhythmische Muskelzuckungen, die weniger regelmäßig sind und kürzer andauern als klonische Zuckungen
- tonisch: eine zunehmende Muskelanspannung (Kontraktion), die einige Sekunden bis Minuten anhält
- epileptische Spasmen: plötzliche Muskelaktivität, die anfallsweise häufig wiederholt werden kann (Cluster); beispielsweise Beugen oder Strecken der Arme, Beugen der Rumpfmuskulatur, Grimassen, Nicken oder subtile Augenbewegungen
- Automatismus: Bewegungen, die aussehen wie alltägliche koordinierte Handlungen, die die Betroffenen jedoch nicht willentlich steuern, beispielsweise Laufbewegungen oder Nicken. In manchen Fällen setzen die Betroffenen eine Handlung fort, die sie vor Beginn des Anfalls ausführten.
- Hyperkinetisch: die Betroffenen bewegen sich sehr stark, sie strampeln beispielsweise.
Nicht-motorischer Beginn
Hierunter fallen beispielsweise Symptome während eines Anfalls wie
- Innehalten: Aktivitätspause, Erstarren, Bewegungslosigkeit
- kognitive Einschränkungen: z. B. Sprach- und Sprechstörungen (Aphasie, Apraxie), Wahrnehmungsstörungen oder Halluzinationen
- emotionales Verhalten: z. B. Angst, Furcht, Wut sowie Lachanfälle oder Weinen
- autonome Reaktionen: z. B. Erröten, Blässe, Gänsehaut, Erektion, Veränderungen des Herzschlags oder der Atmung, Übelkeit
- sensible/sensorische Störungen (Sinnesstörungen): z. B. Störungen des Hör-, Geschmacks- oder Geruchssinns, Gleichgewichtsstörungen oder Sehstörungen
Anfälle mit fokalem Beginn können auf eine Hirnhälfte begrenzt bleiben, sie können aber auch auf die andere Hirnhälfte übergreifen und dann beidseitig (bilateral) eine tonisch-klonische Aktivität hervorrufen.
Klassifikation von Anfällen mit generalisiertem Beginn
Ein generalisierter Anfallsbeginn wird von den Betroffenen niemals bewusst erlebt. Man beschreibt diese Anfälle nach ihren motorischen und nicht-motorischen Symptomen.
Motorische Symptome bei generalisiertem Beginn
Neben den tonischen, klonischen und myoklonischen Muskelaktivitäten, der Atonie und den epileptischen Spasmen, die man auch bei fokalen Anfällen beobachten kann, können bei einem Anfall mit generalisiertem Beginn Kombinationen dieser Symptome auftreten:
- tonisch-klonisch
- myoklonisch-tonisch-klonisch
- myoklonisch-atonisch
Nicht-motorische Symptome bei generalisiertem Beginn
Anfälle mit generalisiertem Beginn und nicht-motorischen Symptomen können auch als Absencen bezeichnet werden. Absencen treten typischerweise eher bei Kindern auf als bei Erwachsenen. Man unterscheidet:
- typische Absence-Anfälle
- atypische Absence-Anfälle (mit langsamem Beginn oder Ende oder bei signifikanter Veränderung der Muskelspannung)
- myoklonische Krampfanfälle (kurze, vereinzelte und plötzlich auftretende Muskelzuckungen, hauptsächlich in Schultern und Armen)
- Augenlid-Myoklonie (Lidzuckungen, Drehen der Augäpfel)
Anfälle mit unbekanntem Beginn
Der Beginn eines Anfalls ist unbekannt, wenn der*die Betroffene ihn nicht bewusst erlebt hat und es auch keine Zeug*innen gibt, die den Anfallsbeginn genau beschreiben können.
Ursachen und Risikofaktoren
Die Ursachen der Epilepsie sind noch nicht vollständig geklärt.
In vielen Fällen ist eine Form der Epilepsie schon früher in der Familie aufgetreten, was für eine erbliche Veranlagung spricht. In einigen Fällen kann man Veränderungen im Erbmaterial (Genmutation) erkennen.
Manche Anfälle können sich in Folge von Unfällen (posttraumatisch) oder als Reflexantwort ereignen. Bei anderen Anfällen können Veränderungen in der Gehirnstruktur (z. B. eine fokale kortikale Dysplasie) ursächlich sein.
Auslöser (Trigger) von epileptischen Anfällen
Epileptische Anfälle können aus heiterem Himmel auftreten. In vielen Fällen sind aber auch bestimmte Trigger eines Anfalls bekannt. Die Auslöser können sich im individuellen Fall unterscheiden. Zu den häufigsten Triggern von epileptischen Anfällen gehören unter anderem:
- Schlafmangel
- unregelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus
- starke körperliche oder seelische Belastung (Stress)
- hohes Fieber
- Alkohol und Alkoholentzug
- Drogen oder Schlafmittelentzug
- eher selten flackerndes Licht (Computerspiele, Stroboskopbeleuchtung in Clubs)
Verlauf und Prognose
Epilepsien können unterschiedlich verlaufen. Es gibt Menschen, die nur wenige Anfälle in ihrem Leben erleiden. Die Krankheit hat in diesen Fällen kaum Einfluss auf die Lebensplanung und -qualität der Betroffenen. Unter Umständen können diese Personen nach einigen Jahren Anfallsfreiheit ihre Epilepsie-Medikamente unter regelmäßiger ärztlicher Kontrolle sehr langsam ausschleichen.
Wenn die Medikamente dazu führen, dass die Betroffenen anfallsfrei sind oder deutlich weniger Anfälle erleiden, können diese ein weitgehend normales Leben führen. Solange das Risiko von Anfällen besteht, dürfen die Betroffenen jedoch kein Kraftfahrzeug fahren.
Etwa 30-40 Prozent der Patient*innen werden durch die medikamentöse Therapie nicht vollständig anfallsfrei. *
Wenn zwei sorgfältig ausgewählte Medikamente in ausreichender Dosierung versagen, gilt eine Epilepsie als pharmakoresistent, d.h. sie spricht nicht ausreichend gut auf medikamentöse Therapien an.
Wenn eine Stelle im Gehirn (Fokus) zu erkennen ist, von der die Anfälle ausgehen, kann eine Operation Patient*innen mit einer pharmakoresistenten Epilepsie unter Umständen helfen. Um festzustellen, ob solch ein Fokus vorliegt und auch operiert werden kann, müssen verschiedene Untersuchungen, darunter spezielle EEG- und Bildgebungsverfahren, durchgeführt werden.
Folgen einer Epilepsie
Die gute Nachricht ist: Epileptische Anfälle führen in der Regel nicht zu bleibenden Schäden im Gehirn und auch nicht zu geistigen Behinderungen. Bei einem Status epilepticus kann es jedoch zu bleibenden Schäden kommen.
- Die unmittelbaren Folgen nach einem epileptischen Anfall sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich und hängen von der Stärke des Anfalls ab. Es gibt Menschen, die sich schnell von einem Anfall erholen und die Tätigkeit gleich wiederaufnehmen können.
- Verletzungen infolge eines epileptischen Anfalls kommen immer wieder vor. Besonders hoch ist das Verletzungsrisiko bei einem generalisierten Anfall. Neben Sturzverletzungen und Prellungen kann es vorkommen, dass sich die Betroffenen in die Zunge beißen.
- Nach schweren Anfällen können die Betroffenen verwirrt sein. Sie brauchen Zeit, um wieder zu sich zu kommen. In den Stunden danach können vorübergehend auch Niedergeschlagenheit, Vergesslichkeit, Sprachstörungen oder Lähmungen auftreten. Einige Menschen sind nach einem Anfall völlig erschöpft und schlafen viel.
- Die Angst vor einem Anfall kann Betroffene psychisch belasten. Darüber hinaus ist das Risiko für eine Depression bei Menschen mit Epilepsie erhöht.
- Ein schwerer Anfall, der mehr als 5 Minuten dauert (Status epilepticus) ist eine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung und sollte umgehend intensivmedizinisch/neurologisch behandelt werden.
- Menschen mit einer idiopathischen Epilepsie haben eine ähnlich hohe Lebenserwartung wie Menschen ohne die Erkrankung. Bei einer symptomatischen Epilepsie hängt die Lebenserwartung nicht von der Epilepsie, sondern von ihrer Ursache, wie z. B. einem Hirntumor oder dem Gesundheitszustand nach einem Schlaganfall ab.
- Menschen, die häufig schwere Anfälle erleiden, müssen mitunter ihren Alltag und Lebensstil anpassen. Sie sollten bestimmte Berufe nicht ergreifen und dürfen nicht Autofahren. Einige Freizeitaktivitäten, wie z. B. Schwimmen sollten möglichst nur in Begleitung ausgeübt werden, damit bei einem Anfall schnell Hilfe bereitsteht (s. Alltag mit Epilepsie).
Diagnose der Epilepsie
Wenn ein Anfall erstmals aufgetreten ist, muss abgeklärt werden, ob es sich um einen Gelegenheitsanfall, einen symptomatischen Anfall infolge einer anderen Erkrankung oder tatsächlich um eine Epilepsie handelt.
Für die Diagnose der Epilepsie sind die Vorgeschichte und der Verlauf des Anfalls wichtig. Wenn Ihr Bewusstsein während des Anfalls eingetrübt war, bzw. Sie das Bewusstsein zeitweise verloren haben, sollten Sie, wenn möglich, Zeug*innen des Ereignisses fragen, was ihnen aufgefallen ist.
Folgende Fragen sollten geklärt werden:
- Hatten Sie bereits einmal einen ähnlichen Anfall?
- Sind Ihnen vor dem eigentlichen Anfall bereits Veränderungen aufgefallen?
- War zunächst nur eine Körperhälfte betroffen?
- Erinnern Sie sich an ungewöhnliche Sinneswahrnehmungen wie z.B. seltsamer Geschmack oder Geruch?
- Waren Sie ängstlich?
- Hatten Sie Sprachstörungen?
- Wurden Sie bewusstlos?
- Sollten Sie das Bewusstsein verloren haben oder sich nicht an das Anfallsereignis erinnern können, gibt es jemanden der*die das Ereignis beobachtet hat und genauer beschreiben kann?
- Gab es dabei unkontrollierbare, unwillkürliche Bewegungen?
- Wie lange dauerte der Anfall?
Im Anschluss an das Gespräch untersucht Sie Ihr*e Ärzt*in körperlich und veranlasst weitere Untersuchungen, darunter:
- Bestimmung der Blutwerte
- Elektroenzephalografie (EEG; Ableitung der Hirnströme)
- Magnetresonanztomografie (MRT) zur Darstellung des Hirngewebes oder eine
- Computertomografie (CT) ein dreidimensionales Röntgenbild des Kopfes
- Ggf. Ultraschalluntersuchung der Blutgefäße im Gehirn mit Duplexsonografie
- Ggf. Elektrokardiografie (EKG und Langzeit-EKG) der Herzströme
- Ggf. Untersuchung des „Nervenwassers“ (Liquor) auf Entzündungszeichen
Abklärung von Gelegenheitsanfällen
Anfälle können auch bei Personen ohne Epilepsie auftreten. Diese sog. Gelegenheitsanfälle müssen vor der Diagnose Epilepsie abgeklärt werden. Einige Beispiele für Gelegenheitsanfälle:
- Krampfanfälle können durch neue Medikamente oder eine Narkose hervorgerufen werden.
- Kinder (meist im Vorschulalter) können bei Fieber ab 38 Grad Fieberkrämpfe erleiden. Dreiviertel der Kinder mit Fieberkrämpfen haben eine Körpertemperatur von über 39 Grad.
- Suchterkrankungen oder psychische Belastungen können psychogene Anfälle und Pseudoanfälle auslösen.
Therapie: So wird Epilepsie behandelt
Wenn möglich wird bei einer symptomatischen Epilepsie die Ursache behandelt. In vielen Fällen ist das aber nicht möglich. Bei einer idiopathischen Epilepsie ist eine behandelbare Ursache nicht bekannt.
Das Therapieziel bei einer Epilepsie ist es, Anfällen vorzubeugen. Hierzu werden Medikamente verabreicht, die die übermäßige Aktivität der Nervenzellen eindämmen. Mittlerweile gibt es eine große Bandbreite an Antiepileptika mit unterschiedlichen Wirkstoffen und Verabreichungsarten, wie z. B. Tabletten, Kapseln, Säfte, Zäpfchen oder Injektions- oder Infusionslösungen.
Bei der Auswahl des Medikaments ist Folgendes zu beachten:
- Lebensumstände der*s Patient*in
- bekannte Unverträglichkeiten
- mögliche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten
Wenn das erste Medikament nach Aufdosierung in den wirksamen Bereich nicht ausreichend wirkt oder Nebenwirkungen verursacht, testet man andere Dosierungen und/oder andere Medikamente.
Antiepileptika können die Erkrankung nicht heilen, sie können aber das Risiko von Anfällen verringern. Etwa die Hälfte der Patient*innen wird bereits mit dem ersten Medikament anfallsfrei oder hat seltener weitere Anfälle. Bei etwa 7 von 10 Menschen mit Epilepsie treten keine Anfälle mehr auf, wenn sie ihre Antiepileptika einnehmen. Das bedeutet auf der anderen Seite aber auch, dass Medikamente bei etwa 30 bis 40 Prozent der Menschen keine Anfallsfreiheit erzielen. *
Wenn Betroffene über mehrere Jahre anfallsfrei sind und ihr EEG unauffällig ist, können sie unter bestimmten Umständen die Medikamente absetzen. Sie sollten dies auf jeden Fall mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin besprechen. Das Medikament wird schrittweise unter ärztlicher Kontrolle langsam ausgeschlichen. Sie sollten ein eigenständiges Absetzen unbedingt vermeiden, da durch abruptes/unkontrolliertes Absetzen ein erneutes Auftreten von epileptischen Anfällen provoziert werden kann.
Nebenwirkungen von Antiepileptika
In den meisten Fällen treten Nebenwirkungen nur zu Beginn der Behandlung auf, sind leicht und hören mit der Zeit wieder auf. Wenn Sie Nebenwirkungen haben, sprechen Sie mit Ihrem*r Ärzt*in darüber. Bis zu dem Gespräch nehmen Sie die Medikamente bitte weiter ein. Ein abrupter Therapieabbruch kann einen epileptischen Anfall auslösen!
Vorübergehende Nebenwirkungen:
- Müdigkeit
- Schwindel
- verlangsamtes Denken
- Übelkeit
- Hautausschlag
Längerfristige Nebenwirkungen (selten):
- psychische Probleme
- Osteoporose (dieser Zusammenhang wird kontrovers diskutiert)
- Störung der Sexualfunktion
- Gewichtsveränderungen
Tipps zur Unterstützung der Therapie
Sie können Ihre Epilepsiebehandlung aktiv unterstützen und so möglicherweise auch zu einem besseren Behandlungserfolg beitragen:
- Führen Sie einen Anfallskalender. In den Kalender tragen Sie ein, welche Medikamente sie wann einnehmen, wann Anfälle auftreten, wie stark sie sind und welche Symptome Sie haben. Der Kalender ist wichtig, um den Erfolg einer Behandlung und den Krankheitsverlauf zu beurteilen.
- Nehmen Sie Ihre Medikamente regelmäßig ein. Wenn Ihnen das schwerfällt, verbinden Sie die Einnahme mit anderen Routinetätigkeiten, wie z. B. dem Zähneputzen. Oder lassen Sie sich von Ihrem Handy über die Erinnerungsfunktion an die Einnahme erinnern.
- Wenn die Erkrankung und/oder Therapie Sie psychisch belasten, sprechen Sie offen mit Ihrem*r Ärzt*in darüber.
- Sie können sich zusätzlich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe suchen. Der Austausch mit anderen Betroffenen, die ähnliche Erfahrungen haben, ist besonders hilfreich.
Wann kann eine Operation helfen?
Eine Operation ist nur möglich, wenn es sich um Anfälle handelt, bei denen die übermäßige Nervenzellaktivität auf eine bestimmte Hirnregion begrenzt ist. Diese Hirnregion ist sehr klein (Millimeterbereich) und wird bei dem Eingriff entfernt.
Im Allgemeinen ist die OP sicher. Komplikationen können jedoch nicht ausgeschlossen werden. Daher wägen die beteiligten Ärzt*innen gemeinsam mit dem*r Patient*in die Nutzen und Risiken des Eingriffs im Einzelfall sorgfältig ab.
Rehabilitation bei einer Epilepsie
Wenn die antiepileptische Therapie bei Patient*innen nicht zufriedenstellend wirkt, kann eine Rehabilitation das Behandlungsergebnis verbessern. Eine Rehabilitation kann auch Patient*innen, die gerade die Diagnose erhalten haben, dabei helfen, mit den Veränderungen und den Beeinträchtigungen im Alltag besser zurechtzukommen.
Die wichtigsten Gründe für eine Reha-Behandlung sind:
- die Genesung nach einer Hirnoperation
- neuropsychologische und körperliche Störungen als Folge der Epilepsie
- schwerwiegende psychosoziale Folgen der Epilepsie
Behandlung in der neurologischen Reha
Die rehabilitative Behandlung bei Epilepsie wird aus verschiedenen Bausteinen nach den Bedürfnissen der Patient*innen zusammengestellt. Im Verlauf der Rehabilitation wird diese Therapie stets überprüft und bei Bedarf optimiert. Zu den wichtigsten Therapiebausteinen gehören:
- Einstellung der Epilepsie-Medikamente unter Berücksichtigung des Tagesablaufs
- Ergotherapie
- Physiotherapie
- Sporttherapie
Diese werden bei Bedarf durch folgende Module ergänzt:
- Gedächtnistraining
- Konzentrationsübungen
- Psychotherapie
- Ernährungsberatung und -schulung
- Gesundheitstraining und -informationen
Leben mit Epilepsie
Die Diagnose kann für viele Betroffene sehr belastend sein. Das Risiko von Anfällen und die Folgen der Krankheit können die Betroffenen verunsichern.
Viele Epilepsien verlaufen jedoch harmloser als man befürchtet. Und auch mit schweren Formen können sich viele Betroffene gut arrangieren. Die gute Nachricht ist: Die meisten Patient*innen können mit ihrer Epilepsie gut leben.
Welche Folgen eine Epilepsie im Einzelfall für die Lebensplanung, den Alltag und die Lebensqualität hat, hängt von vielen Faktoren ab:
- Bei wenigen Anfällen und guter Anfallskontrolle bzw. Anfallsfreiheit, können die Betroffenen ein weitgehend normales Leben führen.
- Von bestimmten Berufen LKW-Fahrer*in, Zugführer*in und Dachdecker*in wird meist abgeraten. Wer solch einen Beruf hat, sollte sich umschulen lassen.
- Falls das Risiko von Anfällen trotz Therapie besteht, darf man leider nicht Autofahren, um sich selbst und andere nicht in Gefahr zu bringen.
- Fahrradfahren sollten Menschen mit Epilepsie ausschließlich mit einem Helm. Bei häufigen Anfällen sollten sie darauf ganz verzichten.
- Sportarten mit erhöhtem Unfallrisiko, wie Schwimmen oder ähnliches, sollte man immer in Gesellschaft von Personen betreiben, die über das Verhalten bei einem Anfall Bescheid wissen.
- Zwischen Antiepileptika und Antibabypille (Kontrazeptiva) kann es zu Wechselwirkungen kommen, die die Wirksamkeit beider Medikamente beeinträchtigen. Frauen mit Epilepsie sollten die Kontrazeptiva-Einnahme ausführlich mit ihrem/ihrer Neurologen/Neurologin sowie ihrer/ihrem Frauenarzt/Frauenärztin abstimmen.
Kinderwunsch bei Epilepsie
Menschen mit Epilepsie können genauso wie Menschen ohne die Erkrankung Eltern werden.
Sie sollten Folgendes beachten:
- Einige Antiepileptika können zu Fehlbildungen beim Kind führen, wenn sie während der Schwangerschaft eingenommen werden. Bei einem Kinderwunsch sollte frühzeitig eine Vorstellung bei einer*m erfahrenen Neurologen*in erfolgen, diese*r wird die Medikation überprüfen und gegebenenfalls ändern.
- Während der Umstellung auf eine neue Medikation ist das Risiko von Anfällen erhöht. Sollte sich ein Anfall in der Schwangerschaft ereignen, ist das Baby im Mutterleib jedoch gut geschützt. Ein guter medikamentöser Anfallsschutz ist aber für die Gesundheit der Mutter wichtig.
- Werdende Väter mit Epilepsie sollten ihre Medikation prüfen lassen, um Anfälle optimal zu verhindern. Schließlich stehen auch sie vor einigen Herausforderungen.
Fragen an den Experten
Prof. Dr. med. Philipp Hüllemann ist ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Neurologie und neurologische Frührehabilitation im MEDICLIN Klinikum Soltau.
Ist es möglich, mit Medikamenten oder anderen Therapien Epilepsie vollständig zu kontrollieren oder zu heilen?
Prof. Hüllemann: In den meisten Fällen ist eine gute bis sehr gute medikamentöse Anfangskontrolle möglich. In vielen Fällen kann über Jahre hinweg eine Anfallsfreiheit erreicht werden. In speziellen Fällen kann der „Anfallsgenerator“ im Gehirn durch spezialisierte Zentren neurochirurgisch/epilepsiechirurgisch entfernt werden. Durch Medikamente oder spezielle chirurgische Verfahren ist eine deutliche Besserung zu erreichen, eine vollständige Heilung (im Sinne einer Garantie, dass nie wieder Anfälle auftreten werden) ist bisher leider nicht möglich.
Ist Epilepsie vererbbar und welche Rolle spielen genetische Faktoren bei der Entwicklung dieser Erkrankung?
Hüllemann: Bei Verwandten ersten Grades mit Epilepsie kann das Risiko an einer Epilepsie zu erkranken um das zwei- bis vierfache erhöht sein. Man geht davon aus, dass etwa 30 bis40% der Epilepsien durch eine genetische Prädisposition (Veranlagung) begünstigt werden.
Gibt es bestimmte Auslöser oder Risikofaktoren, die Anfälle bei Menschen mit Epilepsie wahrscheinlicher machen?
Hüllemann: Ein unregelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus kann das Auftreten von epileptischen Anfällen begünstigen. D.h. Schichtdienst-Arbeit mit wechselnder Tag- und Nachtarbeit sollte soweit möglich vermieden werden. Einer der häufigsten Anfallsauslöser ist das Vergessen der Medikamenteneinnahme oder ein unkontrolliertes Absetzen der Medikation. Hier ist eine gründliche ärztliche Aufklärung über die Folgen eines unregelmäßigen Medikamentenmanagements extrem wichtig.
Auch der Konsum von Alkohol kann durch eine Interaktion mit den Medikamentenspiegeln im Blut oder durch Alkohol selbst neue Anfälle auslösen. Generell wird kein Alkoholkonsum bei Patientinnen und Patienten mit Epilepsie empfohlen.
Gegen den Risikofaktor „genetische Prädisposition“ können wir leider bisher nichts tun. Aber durch einen regelmäßigen Lebenswandel und eine regelmäßige Medikamenteneinnahme können Anfallsauslöser oft erfolgreich minimiert werden.
Welche Auswirkungen kann Epilepsie auf das tägliche Leben und die Lebensqualität einer Person haben?
Hüllemann: Je nach Art der Epilepsie können die Auswirkungen auf den Alltag sehr unterschiedlich sein. Bei den generalisierten Epilepsien, welche z.B. mit Bewusstseinsverlust und tonisch-klonischen Entäußerungen einhergehen, können Stürze und Verletzungen das Leben beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall können ernsthafte Komplikationen durch den Sturz entstehen. Hier ist eine sehr gute Anfallskontrolle die wichtigste Prävention. Bei anderen Anfallsformen wie z.B. kognitiven Anfällen (kurzen „Aussetzern“ mit kurzzeitiger Verwirrung und/oder stereotypen Bewegungen) können die Patientinnen und Patienten durch ihr soziales Umfeld stigmatisiert werden oder fühlen sich gerade in Umgebung mit fremden Personen sehr unwohl. Hier kann es hilfreich sein das engere soziale Umfeld über die Diagnose zu informieren und ggf. Handlungsempfehlungen im Falle eines Anfalls zu geben.
Wie können Angehörige oder Menschen in der Nähe einer Person mit Epilepsie am besten unterstützen und auf Anfälle reagieren?
Hüllemann: Es kann sehr hilfreich sein, wenn Freunde, Bekannte und Familie über das Vorhandensein einer Epilepsiediagnose informiert werden und Handlungsempfehlungen durch die Betroffenen selbst erhalten und/oder durch die behandelnde Neurologin/ den behandelnden Neurologen.
Wenn das soziale Umfeld weiß, dass bei einem Anfall mit tonisch-klonischen Entäußerungen Gegenstände um die Betroffenen aus dem Weg geräumt werden müssen oder dass die Atemwege frei bleiben müssen (d.h. auf keinen Fall einen Beißkeil oder ähnliches zwischen die Zähne einbringen), ist schon viel erreicht.
Es ist sicherlich auch sehr hilfreich wenn bekannt ist, was im Falle eines Anfalls getan werden muss. Folgende Fragen gibt es hier beispielsweise im Vorfeld zu klären: Gibt es eine Notfall-Medikation? Wo ist diese zu finden? Soll in jedem Fall der Notarzt / die Notärztin informiert werden? Ist eine Klinikeinweisung in jedem Fall erforderlich oder kann der Anfall abgewartet werden? Wie wichtig ist die Überwachung nach einem stattgehabten Anfall?
Hier kann es sinnvoll sein, wenn die engsten Angehörigen oder enge vertraute Personen zu Beratungsgesprächen bei der Neurologin/beim Neurologen hinzukommen.
Wie kann eine Rehabilitation Menschen mit Epilepsie helfen?
Hüllemann: Das Ziel der Rehabilitation ist die Vorbereitung auf den Alltag zu Hause z.B. nach stattgehabter Epilepsie-chirurgischer Hirnoperation. Auch nach einer Serie von Anfällen oder einem Status epilepticus kann es manchmal einige Wochen dauern, bis sich die Betroffenen davon erholen, auch hier kann die Rehabilitation helfen.
Im Rahmen der Rehabilitation ist der Fokus auf nicht-medikamentöse Therapien wie Physiotherapie, Ergotherapie, Neuropsychologische Therapie, ggf. auch Logopädie und oder Psychotherapie. Die medikamentöse Therapie kann im Rahmen der Rehabilitation überprüft werden und auf den Alltag des Patienten angepasst werden. Gerade der Umgang mit der Epilepsieerkrankung im Alltag und das Leben mit Epilepsie im Beruf, in der Familie und im sozialen Umfeld sind wichtige Aspekte die während des Aufenthalts thematisiert und besprochen werden.
Kliniken für Epilepsie
Krankenhäuser
Reha-Kliniken
* Quelle: Holtkamp et al., Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter, S2k-Leitlinie, 2023; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 10.10.2023)